Fred Gaegauf, VRP United Grinding Group
Interview Manuela Gebert
Wie war das Jahr 2020 für Sie persönlich?
Als ich das erste Mal von einem möglicherweise stärker ansteckenden Virus gehört habe, kam ich von einer Schneeschuhtour weit oberhalb des Polarkreises, bei zweistelligen Minusgraden und wunderschön gefrorener Landschaft Lapplands, in unser Blockhaus zurück. «Tja, wohl eine starke Grippe im Anzug». Viel bewusster wurde mir dabei die Situation auf dem Rückflug via München, ein menschenleerer Flughafen, der ansonsten von Reisenden überquillt.
Da ich einerseits mittlerweile Rentner bin, mich andererseits Anfang Jahr einer Hüftoperation unterziehen musste, empfand ich den Frühjahrs-Lookdown nicht so stressig, ich musste sowieso zuhause „rumhängen“, oder habe mir alleine mit Wandern im Outback der Schweiz die Zeit vertrieben.
Worauf mussten Sie wegen Covid-19 verzichten, was haben Sie dadurch gewonnen?
Aus Sicherheitsgründen wurden die Kollegen in der Holding sehr früh angewiesen, Home-Office zu machen, was natürlich auch für mich galt. Besprechungen, auch internationale board meetings fanden per Skype oder Zoom statt. Echt gewöhnungsbedürftig, den Leuten nicht mehr auf Kurzdistanz in die Augen schauen zu können. Emotionen zu fühlen, unmöglich. Nun wurde dies zum alltäglichen Standard und ich sehne mich nach physischen Treffen, wo man in Pausen auch mal Dinge «zwischen den Zeilen» besprechen kann.
Ich weiss nicht, ob ich durch die Coronazeit etwas gewonnen habe, der Geruch frischer Luft war auch vorher alltäglich. Die Erkenntnis, dass Home-Office eine praktikable Arbeitsart ist, scheint mir wertvoll. Unsere Gesellschaft hat aber durch Covid im wahrsten Sinne des Wortes im Wesen gelitten, die Einschränkungen im täglichen Leben auf Distanz sind aus meiner Sicht etwas Katastrophales, was uns noch über Jahre hinaus in unserem Verhalten, auch nach dem Virus, beschäftigen wird.
Als VRP einer internationalen Gruppe, hatten und haben Sie es mit verschiedenen Reaktionen von Regierungen auf Covid-19 zu tun. Wie schneidet die Schweiz aus Ihrer Sicht im Vergleich zu andern Ländern ab?
Im Nachhinein ist es bekanntlich immer einfach Kritik zu äussern. «Wenn man gewusst hätte…» In der Summe aber fand ich die Entscheidungen entsprechend dem jeweiligen Kenntnisstand adäquat. Störend empfinde ich die Geschwindigkeit, mit der wir grundsätzlich unterwegs sind, in jeder Hinsicht viel zu langsam.
Wenn eine Unternehmung in eine Krise gerät, werden Sofortmassnahmen entschieden und zack durchgesetzt, da gibt es nach der Analyse und Entscheidung keine Diskussionen mehr, ob die Krise nun wirklich auch stattfinden darf. Nun gibt es Länder, welche sich mal etwas besser verhalten haben, andere schlechter als die Schweiz, auch hier, die Abrechnung findet danach statt.
Wo versagt/e die Schweiz? Was hätten Sie sich anders gewünscht?
Ich möchte nicht von Versagen sprechen, was hätte ich besser gemacht? Früher Grenzen schliessen? Ja vielleicht. Obwohl in unserem Land die Behörden gelernt haben, fleissig zu informieren, geht viel zu viel schief. Inkonsequenz, gegeneinander, jeder weiss es besser, jeder will mitreden, ungewollte und gewollte leaks. Ich meine, die Geschichte mit den Masken war lächerlich und bleibt es weiterhin (haben Sie schon mal eine FFP2-Maske probiert? Viel angenehmer!). Nur weil wir keine am Lager hatten, nutzten die Masken damals auch nichts.
Das schweizerische Epidemienszenario, insbesondere betreffend der Pflichtlager, war nichts anderes als peinlich.
Die Fritz Studer AG ist Teil Ihrer Gruppe. Wie geht es der Firma seit Beginn der Covid-Krise?
Die gesamte Schweizer Exportindustrie hat extrem stark gelitten und tut es immer noch. Gerade die Investitionsmaschinenindustrie ist doppelt gebeutelt. Die Wirtschaft schwächelte weltweit bereits schon vor der Coronazeit. Nicht zuletzt auch infolge der technologischen Veränderung in der Automobilindustrie, welche sich vermehrt in Richtung Elektro bewegt.
Die Produktionsabteilungen der Welt sind seit geraumer Zeit nicht mehr ausgelastet. Neubeschaffungen von Produktionsmaschinen werden getätigt, wenn die Produktionsauslastung dies dann wieder bedingt. Was uns hilft ist, wenn Einkäufer Produktivität und Effizienzverbesserungen wünschen.
Ja, auch Studer hat stark gelitten, Aufträge fehlten, Projekte von Kunden wurden verschoben.
Zum grossen Glück stand/steht das Instrument der Kurzarbeit zur Verfügung, damit kann Stammpersonal gehalten werden.
Welche Massnahmen wurden getroffen, um das Schiff auf Kurs zu halten?
Also der Kurs musste schon korrigiert werden. Um dem Wellengang entgegenzuhalten und das Schiff steuern zu können, benötigt es weiterhin einen Antrieb, um Vortrieb zu leisten. Die Energie dazu wird aus Reserven und auch durch sparsamen Umgang mit den Ressourcen erbracht. Die bereits erwähnte Kurzarbeit, konsequente Anpassung des working capitals, keine Verschwendung, verstärkte Marktbearbeitung, um keine Marktanteile zu verlieren…
Was sind die Stärken der Schweizer Industrie?
Die Stärke der Schweizer Industrie ist deren Stärke! Nun, wir müssen schon aufpassen, dass uns die Stärke nicht ausgeht! Ich spüre öfters aber auch Bequemlichkeit. Wir passen uns dem Wohlstand an und diskutieren immer öfters, was wir tun könnten, respektive was wir sonst noch alles irgendwo verlangen könnten, ohne zu überlegen, wer die Rechnung bezahlen soll.
Nicht zuletzt ermöglicht unser exzellentes Ausbildungssystem, die weltbesten Fachkräfte und Ingenieure auszubilden. Die graue Masse ist neben Wasser einer der einzigen grossen Rohstoffe der Nation. Graue Masse = Know-how, wissen wie und nicht nur wie, sondern wie besser, wie effizienter, wie cleverer… (dies gilt übrigens auch für klimarelevante Themen/Entwicklungen!).
Was sind die Forderungen der Industrie für die kurz-, mittel- und langfristige Zukunft?
Kurzfristig müssen wir wieder reisen können – weltweit, Kunden sehen, um mit Tatkraft unterstützen zu dürfen (widerspricht meiner früheren Aussage, die Grenzen zu schliessen, gilt demzufolge für ein klares, weltweit durchgängiges Regime für Öffnung mit klaren und konsequenten Massnahmen wie testen, impfen).
Ich bin ein Verfechter der bilateralen Beziehungen, nicht nur mit der EU. Internationale Freihandelsabkommen mit Industrieländern gehören dazu. Das eine sind Zölle, finde, die stehen nicht einmal im Vordergrund. Wichtiger sind Übereinkommen bei zum Beispiel Sicherheitszertifizierungen, -standards, geistigem Eigentum, Produktehaftung, …
Forderung an die Politiker: Steht uns nicht im Weg, hört auf mit der dauernd zunehmenden Gesetzesflut, verbessert die Rahmenbedingungen (nicht nur das Rahmenabkommen mit der EU gemeint). Forderung an die Gesellschaft: Hört auf mit der unsinnigen Initiativenflut!
Warum soll sich ein junger Mensch für das Erlernen eines Industrieberufs entscheiden?
Weil es geiler ist, als Geld von einem Konto auf ein anderes Konto zu übertragen.
Die Industrie arbeitet an echter Wertschöpfung, produziert Handgreifliches. Was gibt es Faszinierenderes als ein Produkt entstehen zu sehen? Die Menschheit hat es vergessen, weil Strom aus der Steckdose kommt: Ohne uns gäb’s euren Wohlstand nicht! Das heisst, junge Leute, die den Weg in die Industrieproduktion/-entwicklung wählen, arbeiten an der Zukunft und vielleicht auch am Überleben der Menschheit!